Raubkunst und Heilbronner Geschichte: Was geschah mit den Kunstsammlungen der prominenten jüdischen Mitbürger in der Stadt?
In Heilbronn wurde das Thema wohl nicht erforscht – bis jetzt.
Zeitsprünge fand Gerichtsakten in Deutschland, Spuren in den USA, wertete die alten Handschriften von Siegfried Aram, die es nicht in das Standardwerk von Hans Franke geschafft haben, neu aus – Stück für Stück wird eine dramatische Geschichte nachvollziehbar. Überraschend ist dabei, wie stark die Verfolgung noch bis ins Exilland USA reichte. Vieles in den Briefen von Siegfried Aram klingt unglaublich – und doch konnte Zeitsprünge Namen, Orte, und Ereignisse mit unabhängigen Quellen verifizieren.
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Sie waren keine Randgruppe, sondern prägten die Stadt ganz wesentlich mit im Aufschwung der Gründerzeit: Heilbronn hatte eine der stärksten jüdischen Gemeinden im Südwesten. Siegfried Aram beschreibt in den Briefen anhand von Fotos, wie eng seine Familie mit Heilbronn verbunden war: Unten die Häuser seiner Familie Grünwald und Abraham (gelb) in der Kaiserstraße und am Kiliansplatz vom Kiliansturm aus gesehen.
Arams Onkel Heinrich Grünwald baute viel in Heilbronn und schwelgte im Historismus. Unten Kaiserstraße 31 – noch ohne Hofbräu-Schild, das Aram unpassend fand.
Siegfried Aram war 71 Jahre alt, als er 1962 aus den USA Briefe an Hans Franke schrieb. Franke war einer der Ersten, der nach 1945 nachfragte. Bei dem alten Mann in New York sprudelten alle wilden Geschichten hervor, doch Hans Franke wählte ganz diplomatisch nur das aus, was eine repräsentative Familiengeschichte erzählt. Das eigentliche Drama zeigt sich erst bei einer neuen Auswertung der Briefe, die Zeitsprünge jetzt vornahm. Viele Jahrzehnte später spricht jetzt Siegfried Aram wieder in seinen Briefen zu uns, erzählt die Geschichte von Verfolgung und Raubkunst.
Die Originalhandschrift ist stellenweise schwer zu entziffern, unlesbare Wörter sind mit […] gekennzeichnet. Die Hauptquelle ist ein 24-seitiger Brief vom 20. August 1962. Zitate aus anderen Briefen sind gesondert gekennzeichnet.
Von Anfang an in zwei Welten: Siegfried Aram erlebte bereits früh im Realgymnasium in der Bismarckstraße den Antisemitismus (wie er im Fragebogen von Hans Franke festhält), doch über seine international bewanderte Familie ebenso einen weltoffenen Geist und privaten Englischunterricht.
Wie die Vorbilder Siegfried Gumbel und Max Rosengart wählte er nach dem Abitur 1908 Studium und Laufbahn des Juristen. 1914 meldete er sich freiwillig nach dem Kriegsausbruch. Er überlebte. Nach dem Krieg vertrat er als Anwalt Robert Bosch und den Flugzeugbauer Ernst Heinkel, gründete eine Zeitschrift für Kultur, die den Neubeginn feierte. Sein Mitbegründer Will Stephan tat dies leider („wegen einer schmerzhaften Kriegsverletzung“) mit Kokain und stürzte den jungen Aufbruch bald ins Chaos. Doch der Anfang war hoffnungsvoll.
„Ein kurzer kultureller Aufschwung des Schwabenlandes und Stuttgarts war vor dem Krieg. Hier knüpfen wir an“, schrieben die jungen Redakteure programmatisch zum Start ihrer Zeitschrift, das gelbe Heft. Schwärmerisch zielt man auf das große Ganze: Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater, Mode, Technik und Natur. Und Siegfried Aram hatte einen ersten Erfolg. Er konnte mit Robert Bosch persönlich verhandeln, die Gründung einer Volkshochschule und eines schwäbischen Wandertheaters voranbringen – Bildung und Kultur für alle.
“Ich legte bei der dieser eher dilettantisch geführten Wochenschrift viel Geld drauf. Doch hatte ich dann die Freude an der Volkshochschule, die ich mit Robert Bosch besprochen hatte – drei Semester lang als Dozent vor einer zahlreichen und dankbaren Hörerschaft zu wirken (Kunstgeschichte, Hellas, Rom und Renaissance).“
Die Leidenschaften des späteren Kunsthändlers zeigten sich bereits früh.
Wie schnell man doch ins Fadenkreuz der Rechtsradikalen gerät: Kompagnon Will Stephan hatte sich, berichtet Aram im Brief, “das Kokainschnupfen angewöhnt. Seine Sucht führte dazu, dass er sich an Benzinvorräten vergriff, die zur Verschiebung von Waffen für rechtsradikale Verbände (…) [vorgesehen waren]. Deshalb in Haft, wandte er sich an mich als Verteidiger.“
Das Bagatelldelikt eines Benzindiebstahls brachte aus Versehen ein Skandal ins Rollen. Siegfried Aram hielt sich an das Gesetz, den Besitz illegaler Waffen zu melden und informierte Innenminister Graf in Stuttgart. Den Rechtsradikalen gefiel das gar nicht, die nächste Kugel war für Aram bestimmt.
„Ich wäre sicher damals ermordet worden, wenn (…) Vorsichtsmaßnahmen nicht getroffen worden wären, denn der Landtagsabgeordnete Gareis und einige andere wurden wegen dieser Sache tatsächlich erschossen.“
„Polizeiwehrdirektor Hahn und der (aus Heilbronn stammende) Polizeiwehrhauptmann Robert Albrecht, benachrichtigten mich, dass ich von der Feme umgelegt werden sollte als ‘Waffenverräter‘. Ich wollte den Held spielen, aber Hahn und Albrecht […] benachrichtigen mein Vater, der mit Rechtsanwalt Rosengart von Heilbronn nach Stuttgart kam und ich begab mich auf Rosengarts Drängen auf Reisen nach der Schweiz, Österreich, Oberitalien (…) später wohnte ich bis zum Feldherrenhallenputsch in meinem Haus in der Gethinerstraße in Berlin im alten Westen (…) das ich zusammen mit meinem Onkel Grünwald […] besaß. Grünwald ließ mich Tag und Nacht durch Wächter mit Polizeihunden bewachen (…). Darüber können Sie in Prof. Dr.Gumbels Buch „Drei Jahre politischer Mord“, ich glaube 1922 erschienen, nachlesen. Dr. Gumbel hat übrigens zusammen mit Oberpolizeidirektor a.D. Paul Hahn in meinem Restitutionsprozess das Schlossgut Schapbach (…) betreffend diesbezüglich ausgesagt (…)
“In Berlin kam ich dann mit dem Generaldirektor der staatlichen Museen, Doktor Wilhelm von Bode, dem berühmten Künstler zusammen (…) Ich half diesem genialen und schöpferischen Mann (…) Ich deckte einen Korruptionsskandal auf, der jahrelang die Vollendung des Deutschen Museums, des Vorderasiatischen Museums und des Pergamon-Museums in Berlin verhinderte. Sie wurde nach meinem Eingreifen vollendet, zur Freude Bodes (…).“
Jüdische Sammler halfen wesentlich beim Aufbau der Berliner Museen, so James Simon, der Berlin die Nofretete schenkte (später setzte sich Simon für die Rückgabe an Ägypten ein). Simon spendete ein Vermögen, war einst enger Berater von Kaiser Wilhelm II.und mäßigte den Antisemitismus des Kaisers. Siegfried Aram und Heinrich Grünwald engagierten sich in Simons “Verein zur Abwehr des Antisemitismus”, den der Mäzen 1890 mitbegründete. Grünwald unterstützte 1928 die Gründung einer Ortsgruppe in Heilbronn.