Kiliansplatz mit dem Haus Nr. 27 (rechts), in dem Siegfried Aram aufwuchs und sich die Kunstsammlung seines Vaters Sigmund Abraham befand (Foto Gebrüder Metz, Pate der Glasplatte Volksbank)

Kunst war ihre Leidenschaft: Familie Grünwald und Abraham

Die schönsten Gebäude am Kiliansplatz und der oberen Kaiserstraße sind mit der jüdischen Familien Grünwald und Abraham, die vor 1933 bedeutende Kunstsammler waren, verbunden. In den Kapiteln zur Raubkunst wurden sie bereits vorgestellt. Was aus ihren Sammlungen geschah, ist noch nicht erforscht.

Haus von Adolph und Heinrich Grünwald: Kaiserstr 40 (rechts im Bild unten)

Postkarte StA Hn CC BY SA 3.0

Im Buch von Hans Franke, “Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn” ist ein Familienbericht von Siegfried Aram enthalten, der lebendig in seine Familie einführt.

Portrait von Siegfried Aram, 1938, W.C. Merritt

Mitgeteilt von Dr. Siegfried Aram:

“Mein Großvater mütterlicherseits war Adolph Grünwald. Er besuchte in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts Verwandte in Amerika und blieb dort, meist in Cincinnati, bis 1861. Heimgekehrt, gründete er 1862 die Manufakturwarenfirma Adolph Grünwald am Kieselmarkt in Heilbronn. Das Haus wurde später abgerissen und durch das Schwarz’sche Kaufhaus ersetzt. Adolph Grünwald war ein hochgebildeter, weitgereister Mann, der eine große Bibliothek in englischer und deutscher Sprache besaß (unter den Engländern Dickens, Thakkeray, Emerson, Chaucer, Byron, Shakespeare usw.). Ich las sie schon sehr früh, da die Großeltern mir schon vor der Schule Englisch beibrachten. Denn auch die Großmutter kam aus den USA, aus Cincinnati […]. In jener Stadt lernte sie dann meinen Großvater kennen, der ein sehr gut aussehender Mann war, sich elegant kleidete und ein großer Jäger und Schütze war.

Die Großmutter war eine geborene Bär, eine Familie, die viele ausgezeichnete Männer (wie den Arzt und Aphorismen-Dichter Dr. Bär, Oberndorf, usw.) hervorbrachte. Auch Berthold Auerbach war mit der Großmutter verwandt. Schon ihre Mutter Flora war sehr musikalisch, hochgebildet und witzig. Dazu sehr schön.”

rechts Berthold Auerbach (u) Wiki, gemeinfrei

Berthold Auerbach hatte mit der Erzählung  “Barfüßele“ internationalen Erfolg – die Geschichte eines Pflegekindes auf dem Dorf, das zu einer selbstbewussten Persönlichkeit heranwächst. Neben dem Portrait von Auerbach ist der Ausschnitt des Buchtitels  der Erzählung in einer jüngeren, deutsch-englischen Version zu sehen.

“Die Geschwister meiner Mutter waren Bertha, sehr musikalisch, und Heinrich, mein Onkel. Das vierte Kind, Auguste, war jung gestorben. Meine Mutter spielte Klavier und sang. Sie bekam auch Unterricht im Pastellmalen und zwar von einer Engländerin, Miss Logue, die in unserem Hause wohnte und auch mich als Kind malte. Meine Mutter arrangierte im Hause Musikabende, an denen Schubert, Schumann, Hugo Wolf, auch Mozart gespielt und gesungen wurden. […]

Ich erinnere mich auch an den Besuch des damaligen Oberbürgermeisters Hegelmaier anläßlich solch eines Hauskonzertes, bei dem der berühmte Geiger Pablo Sarasate bei uns war, der vorher ein Konzert gegeben hatte und bei Hofrat Dr. Peter Bruckmann eingeladen war.

Geigenvirtuose Pablo Saraste in jungen Jahren, 1877, Maler F. Paczka

“Bei uns ging das musikalische Treiben bis drei Uhr früh, was wahrscheinlich auch auf die guten Bowlen meines Vaters zurückzuführen war. Auch der virtuose Pianist Hans Stephan war Gast bei uns, ferner der unter dem Namen „Hans Aburi” schreibende Stadtpfarrverweser  Johannes Lehmann. Der Geistliche las seine Gedichte vor. Um das Jahr 1903 tauchte auch der als „Sänger zur Laute” bekannte Hans Knothe auf, der Lieder aus dem 15.-17. Jahrhundert bevorzugte. Mein Vater kaufte sich daraufhin in München eine alte deutsche Laute, er hatte schon immer zur Gitarre geklimpert, jetzt sang er zur Laute, sehr gerne sang er das Lied vom Streit des Wassers mit dem Wein. Nun, er sang es mit Begeisterung: seine Freunde Max Rosengart, Polizeidirektor Bräuchle und die Victors waren gute Zuhörer, zumal sie dabei französische und Rheinweine aus Vaters Keller tranken […]”

Siegmund Abraham

“Mein Vater Sigmund Abraham (geb. 28. März 1862 in Massenbach) hatte in Schwaigern die Realschule besucht und war bei Adolph Grünwald, seinem späteren Schwiegervater in die Lehre der Kaufmannschaft gegangen, hatte dann in Nancy einen Posten inne bei Verwandten, ebenfalls Kaufleuten, und erwarb sich so ausgezeichnete Sprachkenntnisse. Dann kam er nach Heilbronn zurück, nach zweijährigem Aufenthalt in Frankreich. Er hielt um die Hand der Tochter seines früheren Lehrherren Adolph Grünwald an und führte nach dem Eintritt Grünwalds in den Ruhestand die Firma bis zu seinem Tode im Jahre 1925. Meine Mutter verkaufte das Haus und Geschäft und lebte, bis Hitler kam, in Berlin.

Mein Vater sammelte sehr frühzeitig schon Bilder württembergischer und badischer Maler seiner Zeit. Wir bewohnten drei Stockwerke in dem sogenannten Hufeisenhaus Kaiserstraße 27 mit seinen hohen geräumigen Zimmern.”

Kaiserstr. 27 in Heilbronn, StA Hn, CC BY SA 3.0

 “Im Empfangszimmer hingen Bilder von Reiniger, Pleuer, Schönleber und des Unterländer Malers Strich-Kapell, von dem hing ein Stillleben im Eßzimmer.”

 

Gemälde von Hermann Pleuer, Stuttgarter Bahnhof im Schnee

“Von Paris brachte mein Vater eine Pariser Straßenansicht von Utrillo mit und ein Bild von Boudin (Zeitgenosse von Manet). Auch von dem im Atelier Bruckmann beschäftigten hochbegabten Amberg (der das Trauzimmer im Rathaus vor der Zerstörung ausgestaltete) besaß mein Vater einige Bilder. Das schönste aber war im Wohnzimmer eine Schwarzwaldlandschaft von Hans Thoma.”

Oskar Schlemmer und Gemälde von Willi Baumeister

“Und nun etwas für das damalige Heilbronn Seltsames: auf meine Veranlassung kaufte mein Vater später auch abstrakte Werke meiner Freunde Willy Baumeister und Oskar Schlemmer und hing sie (für ihn, so möchte ich annehmen, nur ein Spaß) in seine Bibliothek. Dann vertiefte sich der gütige stille Mann des Abends in seine französischen Bücher, in Balzac, Zola, Maupassant, Flaubert usw. und in seinen geliebten Nietzsche. Übrigens war er, der gläubige aber nicht orthodoxe Jude, ein opernbegeisterter Anhänger des Antisemiten Richard Wagner. Er hatte ja eigentlich den Vornamen Seligmann, nannte sich aber später wagnerisch Sigmund und ließ mich, selbst gegen den Willen meiner Mutter, stilgerecht als Siegfried in die Geburtsregister eintragen. Und er pilgerte einmütig mit einem seiner Freunde, dem antisemitischen Alldeutschen Professor Christian Calmbach, einem Altphilologen, nach Bayreuth! (Aber war nicht Levy einer der Bayreuther Kapellmeister?) “

Gemälde von Hans Baldung Grien, 1513, Ausschnitt

“Aber ich darf die Sammelleidenschaft meines Großvaters Adolph Grünwald nicht vergessen! Er konzentrierte sich auf Gegenstände der Silberschmiedekunst des 15. bis 18. Jahrhunderts. Und sammelte Becher, Gefäße, Schalen usw. Nürnberger und Augsburger Meister. Auch Leuchter und jüdische Kultgegenstände. Hofrat Dr. Peter Bruckmann lieh öfter Gegenstände bei ihm aus, um sie in seiner Fabrik zu kopieren, ich erinnere mich an Zopfstil-Leuchter und andere Dinge. Außerdem kaufte Großvater Grünwald gotische Holzfiguren, wo er sie nur auftreiben konnte. Er besaß eine Heilige aus der Schule Riemenschneiders, einen kleinen Altar vom Meister von Biberach. Er häufte auch Bilder des 15. Jahrhunderts in seiner Sammlung an, so eines des Meisters von Crailsheim, einen herrlichen Hans Baldung Grien, den ihm der Antiquar Dauer vermittelt hatte, auch ein Männerporträt von Niklas Kremer war darunter, das jetzt in der Nationalgalerie in Washington hängt. Er war aber genau wie mein Vater kein Kunsthändler, nur Kunstsammler – der Großvater, der leidenschaftlichere und systematischere.”

Heinrich Grünwald

“Er hatte eine höhere Schulbildung, war ebenfalls sehr musikalisch, spielte Cello und Klavier, besaß eine große Bibliothek und liebte Kunst und Theater. Er selbst zeichnete gern Karikaturen. Seine Militärzeit absolvierte er bei der Bruchsaler Feldartillerie. Er reiste viel in Frankreich und Italien, wurde in Paris Partner einer Kunst-Galerie, und gründete schließlich in Baden-Baden eine eigene Kunst-Galerie  mit einer Filiale in Berlin. Seinem außerordentlichen Geschmack, seiner Kennerschaft und seinem „Riecher” gelang es bald, bedeutende Kunstwerke aufzuspüren und auf diese Weise auch große Galerien und Museen mit Kunstwerken zu versehen. Er war der Freund des bekannten Kunsthistorikers Prof. Hans Hildebrandt, Stuttgart, der ihn in vielen Fragen beriet.”

Hans Hildebrandt

“Er besaß neben seinem Grundbesitz in Heilbronn eine Wohnung in Berlin sowie eine in meinem eigenen Haus in der Luisenstraße in Baden-Baden. Er baute die Silber-Sammlung seines Vaters Adolph Grünwald aus und sammelte für sich auch Meißner sowie Ludwigsburger Porzellane und Stiche mittelalterlicher Künstler. Schließlich tat er sich mit Kommerzienrat Martin Ehrhardt zusammen, und beide betrieben nun die weitbekannte „Kunst-Galerie Ehrhardt” in Berlin und Baden-Baden, die sich auf die Kunst des 14. bis 18. Jahrhunderts spezialisierte und weithin im internationalen Handel bekannt wurde. […] In den zwanziger Jahren kauften Ehrhardt und ich im Schwarzwald das Schlößle Schapbach bei Wolfach, das sogenannte „Hohenhaus”, in dem die Sammlung von Masken, vornehmlich Indianer und Südsee, untergebracht wurde. Die Anregung dazu ging von Dr. Rudolf Utzinger aus, der am Lindenmuseum in Stuttgart arbeitete.

In Berlin verkehrten bei meinem Onkel führende Kunstkritiker und Kunsthistoriker, Museumsleiter und andere Künstler. Eine besondere Freundschaft bestand zwischen meinem Onkel und dem Bildhauer Prof. Eberlein.”