Aufnahme der Gebrüder Metz, 1905-1907, HdG Stgt, Pate der Glasplatte ist die Volksbank


Die alten Synagogen in Heilbronn

Neben der großen Synagoge an der Allee von 1877 gab es in der Uhlandstraße 7 noch eine kleine orthodoxe Synagoge (rechts im Bild). In der Uhlandstraße 11 befand sich das Elterhaus von Siegfried Gumbel (zweites Haus rechts oben).  Einen lebendigen Einblick in die orthodoxe Gemeinde Heilbronns gibt die Autobiographie von Ezra BenGershom, die sogar verfilmt wurde – siehe film stills und Geschichte im Kapitel dazu hier

Luftaufnahme vor 1938

 

Im Mittelpunkt der großen Synagoge an der Allee stand der Toraschrein, der schon in den ersten Plänen im goldenen Glanz erstrahlte.

Wikipedia, koloriert jp


Entwurf von Adolf Wolff

StA Hn, CC BY SA 3.0

“Und wenn heute unsere Blicke sich zur lichtdurchfluteten Kuppel wenden, und unsere Seelen unter rauschenden Orgelklängen sich empor gehoben fühlen, höher noch als zu den harmonienreichen Wölbungen dort oben, dann fühlen wir: hier haben wir gewonnen eine selige Heimat”

Rabbiner Beermann 1927 zum 50-jährigen Jubiläum der Synagoge

Wolff hatte bewusst die lichtdurchflutete Kuppel konzipiert – die Kuppelfenster sind im Plan unten gelb hervorgehoben (Seitenansicht)

StA Hn CC BY SA 3.0 Hervorhebung in Gelb jp

 

 

Im Mittelalter lagen die ersten Heilbronner Synagogen am Kieselmarkt und Lohtorstraße. Im 19. Jahrhundert befand sich die Synagoge der jüdischen Gemeinde zeitweise im Deutschhof. 1877 bekam die Gemeinde ihr neues Gotteshaus an der Allee, nach Plänen von Adolf Wolff. Die Einweihung wurde in der Harmonie gefeiert.

Die große Synagoge von 1877 gehörte zu den Schönsten in Deutschland. Die Heilbronner bewunderten den Bau und eiferten im Bau der Friedenskirche 1896 der repräsentativen Wirkung nach, wählten dafür ebenfalls große Fensterrosetten als  bestimmende Element, Rundbögen und geometrisierende Wandgestaltung. Neo-Romanik und Neo-Orientalismus waren in beiden Fällen  phantastische Sehnsuchtsarchitektur voller theatralischer Erfindungen und eklektizistischer Anleihen, wie es für die kunsthandwerkliche Blüte der Gründerzeit durchaus üblich war. Die Glasfenster der Synagoge in mittelalterlicher Technik zeigten pflanzliche Motive im Jugendstil – der auch in der Friedenskirche einflußreich war. In beiden Gotteshäusern stand eine Walckerorgel. Die Synagoge wählte eine Kreuzform als Grundriss und einen gotisch anmutenden Chor. Die maurischen Stilelemente waren der Alhambra nachempfunden, die Kanzel wiederum der christlichen Kirche. Beide Gotteshäuser aus Heilbronner Sandstein wurden  von einem christlichen Architekten geplant, die Symbolik des alten Testaments in der Synagoge waren für den Stuttgarter Architekten Adolf Wolff gut zugänglich. Das ewige Licht über dem Toraschrein symbolisiert die Feuersäule (Ner Tamid), die Moses und die Israeliten durch die Wüste begleitete.  Die Tora enthält das Pentateuch, die fünf Büchern Mose, wie sie auch den Christen aus dem ersten Teil des alten Testaments vertraut sind. Die jüdische Kultur war schon immer ein Teil unserer Heimat, Teil unserer Wurzeln. Ein tiefes Heimatgefühl lässt Ezra BenGershom in seinen Erinnerungen lebendig werden, jüdische Kindheit im Heilbronn der Zwanziger Jahre –  ein Ausschnitt aus seinem Buch findet sich am Schluß dieses Kapitels. Sein Vater war Rabbiner der orthodoxen Synagoge in der Uhlandstraße.

 

Stadtansicht mit Synagoge – im Vordergrund Kilianstraße Ecke Klarastraße

StA Hn CC BY SA 3.0

Der Architekt Adolf Wolf hatte viele Synagogen gebaut. Die einzige Kirche, die er baute, die Mathäuskirche in Stuttgart, zeigt verwandte Stilelelemente und erinnert sehr an die alte Friedenskirche in Heilbronn. Die gegenseitige Befruchtung war ein Symbol der Blütezeit der Gründerzeit und des friedlichen Zusammenlebens. Zeitsprünge wird in Kürze ein eigenes Kapitel über den Architekten Adolf Wolff in dieser Serie veröffentlichen.

Before After

9./10. November 1938 wurde die Synagoge in Heilbronn durch Brandstiftung der Nationalsozialisten in der Pogromnacht zerstört. Keine einzige Synagoge des Architekt Wolff  blieb erhalten, seine Synagogen in Stuttgart, Ulm, Nürnberg, Heilbronn, Crailsheim und  Karlsberg in der Tschecheslowakei brannten. Das Sudetengebiet war kurz zuvor erst besetzt worden. Seine Synagoge in Lodz wurde ein Jahr später am 9./10. November 1939 nach dem Überfall auf Polen zerstört.

Ludwig Ruff, Stadtarchiv Heilbronn (a)

 

Israel gedachte mit dem Bild der Heilbronner Synogoge dem 50. Jahrestag der Pogromnacht auf einer Briefmarke

Erinnerungen an die Heimat Heilbronn und den Sabbat

aus dem Buch “David” von Ezra BenGershom über seine Kindheit in Heilbronn

“Am meisten zog es mich in die Kaiserstraße, die Hauptstraße der Innenstadt…Es wimmelte und bimmelte von „Elektrischen“, Kutschen, Fahrräder, Autos, Kräutwägele…

Unser Leben war vollkommen mit jüdischer Sitte durchwoben. Kamen wir am Freitag mittag aus der Schule nach Hause, dann setzt du uns Mutter ein fast kärgliches Essen vor. Einfach gehalten war es, damit uns das Festmahl am Freitagabend umso besser mundete. Auch war jedermann im Haus viel zu sehr beschäftigt, als dass er sich mit dem Mittagessen für so einen gewöhnlichen Tag lange abgegeben hätte (…) überall wurde gescheuert und geputzt, und überall waren wir den hochbeschäftigten Erwachsenen im Wege (…) von Stunde zu Stunde stieg die Erwartung. Vater tat das Seine dazu, die Spannung aufs äußerste zu treiben. In Hast besorgte er Früchte, in Eile schnitt er Blumen, der Barbier musste “sich schicken“. Wie froh waren wir, wenn Mutter endlich die Schabbatlichter anzündete. Alle Plage und Hast hatten dann ein Ende, denn während der folgenden 25 Stunden war nicht nur jederlei Arbeit verboten, sondern auch alle werktagsmäßige Eile. Gewaschen und in gute Kleidung gesteckt, begleiteten wir Vater in die Synagoge.

Nach dem Gebet geht es wieder heimwärts durch die abendlichen Straßen Heilbronns. Vereinzelt, aus der Ferne, hallt das Bimmeln einer Elektrischen gedämpft herüber (…)

Die Welt hatte sich mit der Ankunft des Freitagabends von Grund aus gewandelt, und sie verharrte in einem verklärten Zustand, bis sie am Samstagabend wieder ihr Alltagsgewand anlegte. Wir mochten am heiligen Tag durch die Innenstadt spazieren und den lärmerfüllten Marktplatz überqueren. Kutscher, Chauffeure, Verkäufer, Markt Weiber, Postbeamte gingen ihre Arbeit nach wie immer; doch war ihr Tun der Wirklichkeit entrückt (…).

Auf welche Weise war diese wunderbare Veränderung zu erklären? Darauf antwortete Vater, der Wandel habe nicht in den Straßen Heilbronns stattgefunden und überhaupt nicht in der äußeren Welt, sondern in uns selbst. Jeder Mensch habe von Gott eine Seele mitbekommen. Am Schabbat aber würde jeden Menschen, der den Tag heiligt, noch eine zweite Seele hinzu verliehen, so dass er sich bis zum Eintritt der Dunkelheit am Samstagabend des Besitzes einer doppelten Seele erfreuen dürfe. Dieser doppelten Seele sei die erstaunliche Veränderung zu danken. Die Erklärung leuchtete sofort ein; ich hatte auch gar nichts dagegen, am Schabbatmorgen fein gekleidet und mit einer doppelten Seele ausgerüstet in die Synagoge zu gehen, während meine christlichen Schulkameraden, den Ranzen auf dem Rücken, mit ihren ihre einfachen Seele zur Schule trotten mußten.

Allerdings war das Vorrecht der Doppelseele mit vielen Beschränkungen und Vorschriften verknüpft. Wir durften nicht zeichnen oder Papierfiguren ausschneiden. Schmetterlinge oder Maikäfer zu fangen war gleichfalls verboten, denn Schabbat war ein Tag der Freiheit auch für die Tiere. Es war uns untersagt, an der Bretterbude, die wir Kinder im Garten aufstellten, weiterzubauen. Wir dürfen nicht einmal die umher liegenden Bretter und Latten, geschweige denn Hammer und Zange berühren, damit wir nicht in Versuchung kämen, sie zu gebrauchen.

Dieses Berührungsverbot erstreckt sich auf alle Dinge, die man am Schabbat nicht benutzen durfte; man drückt das aus, in dem man sagt, diese Gegenstände seien ‘mukze‘. Mukze waren also Werkzeuge, Zündhölzer und Scheren, Schiefertafel und Griffel. Sie mussten so unbeweglich liegen bleiben, als wären sie ein Teil von Dornröschens verzauberten Schloss. Mukze waren die Kisten und Säcke und das Gerümpel im Keller, weil sie für den heiligen Tag zu hässlich und schmutzig waren. Mukze waren leider auch ein Teil unseres Spielzeugs, zum Beispiel Leons Luftbüchse.

Es hatte eine erstaunliche Bewandtnis mit dem Mukse-Sein. Diese Eigenschaft haftete den Gegenständen wohl dauernd an, tat sich aber nur am Schabbat und an anderen Feiertagen hervor. Eine rostigen Kohleschaufeln konnte man die ganze Woche hindurch ansehen, dass sie rostig war; dass sie zudem noch mukse war, bemerkte man nur am Schabbat, denn dann hatten man die doppelte Seele. Man erhob sich in die Sphäre des Heiligen: die Kohleschaufel blieb mukze zurück.

Bedarf es noch einer Erklärung, warum Geld muckte war? Etwas Mukzeres ließ sich gar nicht ausdenken. Wenn der Briefträger am Samstag Geld brachte, lies ihn Vater es einfach auf ein Tischchen hinzählen und machte sich bis zum Abend nicht damit zu schaffen.

Mit der Straßenbahn zu fahren wäre uns ebenso wenig in den Sinn gekommen wie etwa einen Laden zu betreten und eine Tüte Bonbons zu kaufen. Nicht einmal gratis wären wir mitgefahren, denn nicht nur die Geldmünzen und Fahrscheine waren mukze, sondern auch die Straßenbahnwagen selbst. Am heiligen Tag waren sie uns zu nichts gut, als einen unterhaltsamen Anblick zu bieten.”

 

Weiter zum  Kapitel  9./10. November 1938 in Heilbronn und ein stiller Skandal der Gegenwart

 Mehr über Ezra Ben Gershom  hier

Über mittelalterliche Synagogen in Heilbronn siehe Kapitel Kieselmarkt und Lohtorstraße.

Über die Synagoge im Deutschhof siehe Kapitel Deutschhof.

Sie auch Kapitel zu Familie Gumbel und Familie Kahn

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