Ausschnitt aus "Tarquin and Lucretia from the circle of Simon Vouet", Titel laut Angaben bei Christie's, 1983

Die Spur der Raubkunst

Das Bild hängt heute im Metropolitan Museum in New York. 1983 sei es zum ersten Mal bei einer Versteigerung bei Christie’s aufgetaucht, so das Museum: Tarquin and Lucretia from the circle of Simon Vouet“ – für 108.000 Pfund gab es den Zuschlag. Die Geschichte der Vorbesitzer sei unbekannt.

Kamen dem Museum keine Zweifel?

Das große Gemälde „Tarquinius und Lucretia“ von Simon Vouet war eines der wichtigsten Schlüsselwerke der Raubkunst aus dem Besitz des verfolgten Kunsthändlers Siegfried Aram, geboren und aufgewachsen in Heilbronn. In der frühen Nachkriegszeit verfolgte er es in langen Zivilprozessen im Südwesten, von denen kaum jemand Notiz nahm. Die Prozessakten reichen von 1949 bis 1964. Der Kunsträuber von 1933 brach nie sein Schweigen über den Verbleib des teuren Gemäldes, Siegfried Aram hoffte vergeblich bis zu seinem Tod 1978. Im Jahr 1983 tauchte dann „Tarquin and Lucretia“ bei Christie’s auf.

Alles deutete darauf hin, dass es das lange vermisste Gemälde von Siegfried Aram war. Zeitsprünge brachte den Fall im Dezember 2019 zur New York Times. Reporter Graham Bowley fand schließlich das letzte Puzzlestück: Die Familie von Oskar Sommer verkaufte das Bild anonym bei Christie’s, wie die beiden Töchter von Oskar Sommer dem Reporter bestätigten. 

Es war nicht irgendeines der vielen Meisterwerke, das durch die Hände des Kunsthändlers Siegfried Aram ging, oft nur auf Kommission. Dieses Werk nahm er in seine Privatsammlung und brachte es in sein Haus im Schwarzwald. Weshalb hatte es eine besondere Bedeutung für ihn?

"Tarquin and Lucretia from the circle of Simon Vouet", Titel laut Angaben bei Christie’s, 1983

Ein Bild mit Symbolkraft

Das Gemälde erzählt einen Schlüsselmythos der Antike über Diktatur, Widerstand und Hoffnung auf Neubeginn: Der Tyrann Tarquinius vergewaltigt Lucretia, doch sie wehrt sich. Bevor sie in den Freitod geht, trägt sie die Geschichte der Ereignisse und den Widerstand in die Öffentlichkeit, der Tyrann wird gestürzt und die Epoche der Republik beginnt. Obwohl sie selbst alles verliert, geht sie als Sieger vom Platz, denn sie leitet die neue Ära der Republik ein. In der französischen Revolution hatte der Mythos Bedeutung und schon der junge Shakespeare gab dem Stoff mit Leidenschaft seine Stimme. Der Anstoß zu den Emanzipationsgesetzen der Juden kam mit der Republik, der französischen Revolution. Siegfried Aram hatte im Schwarzwald auch eine Kanone der französischen Revolution mit der Aufschrift Liberté, Égalité, Fraternité aufbauen lassen. Gleiche Bürgerrechte ab den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts war die Hoffnung, die seinen Großvater von der Emigration in den USA nach Deutschland zurückkehren ließ. Aram erlebte selbst eine ähnliche Szene, wie sie auf dem Bild dargestellt wird: In der Nähe des Hauses, in dem das Gemälde hing, wurde er 1931 von Nazis mit gezückten Messern bedroht. Damals, zwei Jahre vor der Machtergreifung, sprangen noch ein paar Bauern dazwischen (siehe Brief von Siegfried Aram im Anhang). Schon für die Malerin Gentileschi, die ebenfalls das Motiv umsetzte, hatte die Legende eine tiefe Bedeutung. Wie Siegfried Aram konnte sie sich mit der Rolle der Verfolgten identifizieren: Die Erfahrung der Ohnmacht ebenso wie die Hoffnung, am Ende doch zum Sturz des Tyrannen mitzuwirken. Auch in Deutschland folgte auf die Diktatur die Republik – doch wie ging sie mit den Verfolgten nach 1945 um?

“Antrag abgewiesen“ – Der Schatten der alten Zeit ist noch lang.

Unten: Umsetzung des Motivs von Gentileschi

Ausschnitt aus Gentileschi, "Tarquinius und Lucretia", 1645-50

Zeitsprünge entdeckte die alten Gerichtsakten von 1949 bis 1963. Der Fall “Tarquinius und Lucretia” blieb, genauso wie die anderen Fälle der beiden Kunstsammler Aram und Grünwald, bislang unerforscht.

Ausschnitt aus der Akte Siegfried Aram 1959-1963, Staatsarchiv Freiburg

Siegfried Aram wusste genau, wer sich das wertvolle Gemälde bei der Arisierung unter den Nagel riss. Er verlor sein „Schlössle“ im Schwarzwald 1933 an einen Karrieristen des neuen Regimes namens Oskar Sommer aus Trier, der Arams Mutter beim Notverkauf noch bedroht und erpresst haben soll, wie Aram dem Historiker Hans Franke 1962 schrieb. Die Gerichtsakten (nächstes Kapitel) enthalten noch mehr dazu.

Die Recherchen zu Oskar Sommer ergaben Folgendes: Der Geschäftsmann machte Karriere unter den Nazis und trat der NSDAP bei, so das Bundesarchiv. 1933 wurde er Vizepräsident der Handelskammer in Trier, die die Arisierungen forcierte und dessen Präsident in Trier selbst jüdischen Besitz übernahm. Sommer arisierte neben Siegfried Arams großem Anwesen im Schwarzwald auch ein großes, mehrstöckiges Geschäftshaus in Berlin 1937-39 (siehe Gedenkseite zum Vorbesitzer Moritz Feidt). Nach dem Krieg florierten die Geschäfte Oskar Sommers weiter, er sonnte sich im besten Ansehen, wurde Beirat der Landesbank und Konsul von Panama. Daraus resultierten neue Geschäftsmöglichkeiten für sein altes Netzwerk.

Siegfried Aram klagte gegen Oskar Sommer – eine absurde Geschichte wie bei den Rubensbildern, die heute in Stuttgart und Karlsruhe hängen. Der Nutznießer der Arisierung war bekannt, doch die Raubkunst längst in Sicherheit gebracht, Rückgabe verweigert und später versilbert.

Für Siegfried Aram wiederholte sich nach 1945 in abgeschwächter Form, was er bereits nach 1933 erlebte: Der Gegner mit der Raubkunst saß nach wie vor hoch zu Ross, in den Gerichten und Ämtern oft die alten Leute. Das „Schlössle“ bekam der Verfolgte nicht zurück, denn es war 1938 längst weiterverkauft und das berühmte Gemälde angeblich auch. Für das Gericht war das Thema eine Privatangelegenheit. Gegen das erste Urteil ging Siegfried Aram in Berufung und 1952 wurde ein Vergleich unter Wert ausgehandelt (30.000 DM). Siegfried Aram musste 12.000 DM Anwaltskosten zahlen, berichtete er, danach ging die Suche nach Entschädigung vor Gericht noch über zehn Jahre weiter.

Das Gericht lag falsch, die Arisierung war keine Privatangelegenheit. Die Polizei hatte 1933 einen Transport verhindert, der einige bewegliche Güter aus Schapbach wegbringen sollte, berichtete Aram. Die eingefrorenen Konten, die Beschlagnahmungen und Einziehung der Gelder lief zum großen Teil über die Finanzämter, bei der auch die Devisenstelle lag. Siegfried Aram, vertreten durch die Oberfinanzdirektion Freiburg, klagte daher in der Sache auch gegen das ehemalige Deutsche Reich. 

Was hält das Gericht davon? Gab es hier Verfolgung durch den nationalsozialistischen Staat? Der erste und der letzte Satz im Urteil 1962 spricht Bände: „Tatbestand: Der Kläger wohnte in Schapbach, bis er 1933 aus rassischen Gründen auswanderte“ (wurden Juden immer noch als Rasse eingestuft?). „Im Namen des Volkes“ wurde die Klage abgewiesen. Dazwischen: Der Sache blieb eine Privatangelegenheit zwischen Herrn Sommer und dem Juden.

Ausschnitt aus der Akte Siegfried Aram 1959‒1963, Staatsarchiv Freiburg

Die Beweislast lag beim Verfolgten: Der 71-jährige Aram beklagte nach über zehn Jahren Prozesse “das lächerliche Restitutionsgesetz verlangt nach all den Jahren, ich soll nachweisen, wo die gestohlenen Stücke sind! Ich habe kein Geld für Detektive, denn ich bin alt und krank.“

Fünf Jahre nach seinem Tod bot Christie’s „Tarquin and Lucretia“ zum Verkauf an.

Das Metropolitan Museum wird sich den Fragen nach der Geschichte des Bildes stellen müssen.

Im nächsten Kapitel beginnt der Justizskandal der Nachkriegszeit.

Akte Aram

Weiter zum Kapitel hier, das bald freigeschaltet wird

 

 

 

Wer sich für Kunstgeschichte interessiert, unten mehr zum Gemälde.

Zurück zum Ursprung

Thema und Entstehungskontext des Gemäldes “Tarquinius und Lucretia” aus dem Studio Vouets.

Ausschnitt aus "Tarquin and Lucretia from the circle of Simon Vouet", Titel laut Angaben bei Christie’s, 1983

Vouet beschäftigte sich intensiv mit der Geschichte der Lucretia, sie gehörte zum Themenkreis seit seiner frühen Zeit in Rom. 

Vouets bevorzugtes Modell war seine Geliebte und spätere Ehefrau, Virginia Vezzi (in Frankreich Virginia de Vezzo genannt), die auch für Lucretia Modell stand. Vouet dramatisierte unterschiedliche Abschnitte der Geschichte, so auch die Szene, als der Selbstmord der Lucretia entdeckt wird. Es ist bemerkenswert, wie Lucretia in beiden Gemälden in Potsdam und New York ein ähnliches Kostüm trägt: Die Farbkombination Blau und Orange sowie ein pastellgelbes Tuch um die Schultern, dazu die charakteristischen roten Haare mit einer ähnlichen Frisur und einem variierten Perlenschmuck. 

„Selbstmord der Lucretia" Simon Vouet, 1613‒1617, Potsdam Schloss Sanssouci

Vouet interessierte bei der Entdeckung des Selbstmords der Augenblick, in dem die Geschichte umschlägt: Im Moment der Trauer und des Schocks wird die Ohnmacht überwunden, der Impuls zu handeln erwacht und die Männer werden den Tyrannen stürzen.

In beiden Fällen erscheint Lucretia nicht nackt oder halbentkleidet, wie bei vielen anderen Künstlern. Die Gewandung ist hier möglicherweise eine Betonung der Tugendhaftigkeit als Teil der Legende: Lucretia spinnt bis tief in die Nacht mit ihren Mägden Wolle, als Tarquinius sie entdeckt. Eine der Mägde sieht man in der Vouet’schen Version noch im Hintergrund. 

 

Von Caravaggio beeinflusst arbeitete Vouet in seiner Zeit in Rom im Stil des chiaroscuro, war aber nicht dogmatisch darauf festgelegt und nahm auch andere Strömungen auf. Er gestaltete auch in hellen und leuchtenden Kompositionen wie die Cecilia um 1626 (rechts unten) oder ein Altarbild für den Petersdom dieser Zeit zeigt.

Heilige Cecilia von Simon Vouet 1626, wikicommon, Blanton Museum of Art

Seine dynamischen Kompositionen gehen auf schwungvolle Zeichnungen zurück, wie auch der fast skizzenhafte Pinselduktus der Haare der beiden Engel erkennen lässt, der an die gelösten Haare der Lucretia in New York erinnert.

Entwurf für einen Altar im Petersdom in Rom von Simon Vouet, 1626

Zeigen die beiden Darstellungen der Lucretia in Potsdam und New York ähnliche Kostümelemente, so finden sich bei Vouet weitere Beispiele der mehrfachen Bearbeitung eines Themas im gleichen Kostüm, wie bei der Caritas Romana, in diesem Fall auch mit den gleichen Modellen.

Caritas Romana von Simon Vouet, 1630-35

Mit Virginia Vezzi, die einem damals gängigen Schönheitsideal entsprach, entwickelte sich eine ungewöhnliche Zusammenarbeit. Sie war in den 1620er Jahren nicht nur Vouets Modell und Geliebte (wie auch Raphaels Muse Margherita Luti, von der ebenfalls eine Darstellung in der Raubkunst Siegfried Arams zu finden war), Virginia Vezzi war selbst eine erstklassige und hoch angesehene Malerin, die in dieser Zeit ihren künstlerischen Durchbruch hatte. Ihre Judith mit dem Kopf des Holofernes brachte ihr große Anerkennung.

 

Virginia Vezzi, 1624-26, Judith and Holofernes, pd wiki

Vouet und Vezzi bildeten ein Künstlerpaar mit Charisma. Sie lernten sich kennen, als Virginia Anfang Zwanzig war – Vouet lebte in der gleichen Straße in Rom. In den Schlüsseljahren danach kam es zu einem Höhepunkt ihrer gemeinsamen Schaffenszeit. Anfangs von ihrem Vater gefördert, der ebenfalls Maler war, wurde Virginias Entwicklung von Vouet weiter unterstützt. 1624 wurde Vouet Präsident des römischen Künstlerbundes “Accademia de San Luca”, benannt nach dem Schutzpatron der Künstler, dem heiligen Lukas. Bald darauf nahm die Akademie Vezzi in den Bund auf. 

Ihre Beziehung vertiefte sich, 1626 heirateten sie.

Die hochbegabte und ehrgeizige Virginia fand in Artemisa Gentileschi das Vorbild einer Künstlerin, die sich selbstbewusst durchsetzte und starke, weibliche Themen behandelte – wie in Sujets wie Judith und Holofernes, das Vezzi ebenfalls als ein Schlüsselthema aufgriff. Bald lernten sie sich kennen.

Vouet feierte Gentileschi in dieser Hochphase zwischen 1623-1626 in einem Portrait.

Gentileschi portraitiert von Simon Vouet, um 16123-1626, pd, Wiki

Gentileschi war damals bereits eine berühmte Malerin Mitte 30, etwa gleich alt wie Vouet und sie hatte ihr eigenes Studio mit Schülern beiderlei Geschlechts. Virginia Vezzi war 10 Jahre jünger. Vezzis Bild der Judith aus dieser Zeit ist ein Stück weit eine Hommage an ihr Vorbild. 

Gentileschis Vater war einer der großen Realisten, zeitweilig Weggefährte Caravaggios in Rom, ein einfühlsamer, radikaler Humanist – die tieferen Wurzeln dieser Generation junger Künstler, die sich hier in Rom in den 1620er Jahren trafen. Sie wählten oft Themen, mit denen sich eindringliche psychologische Portraits gestalten ließen, dabei die weibliche Perspektive mit existentieller Tiefe (Magdalena, Judith, Lucretia). Es ist verblüffend, wie Orazio Gentileschi bereits vorbereitet, was seine Tochter noch radikal steigerte. Orazio überrascht mit sehr einfühlsamen Darstellungen der Mutter-Kind-Beziehung oder dem Bild der Verfolgten und Unterdrückten: Er zeigt Empathie für Menschen wie wir, wenn er z.B. die heilige Familie malt. Seine heilige Familie auf der Flucht erinnert an die Flüchtlingsschicksale heute. 

Orazio Gentileschi, Rast aus der Flucht aus Ägypten, Wiki commons

Vouet und Orazio Gentileschi arbeiteten 1621-1622 zeitgleich in Genua. 

Orazio Gentileschi, 1612-615, wiki commons

Artemisia Gentileschi gelang es, bekannte Sujets aufzubrechen und eine neue Perspektive mit einer ganz neuen, starken und weiblichen Sicht, wie “Susanna im Bade” oder “Judith köpft Holofernes” zu geben.

Artemisia Gentileschi, Judith and Holofernes, 1612, pd, Wiki

Es sind Gentileschis persönliche Erfahrungen mit Gewalt, die ihren starken Ausdruck antreibt: Sie wurde von ihrem ersten Lehrer Agostino Tassi vergewaltigt. Als Malerin findet sie dazu Visionen von einer psychologischen Wucht, die Virginia Vezzi und Vouet tief beeindruckten. Sicher gab Gentileschi ihrer jüngeren Kollegin Rat mit auf den Weg. Gentileschi ihrerseits nahm auch die Anregungen der anderen auf, wie die nachfolgenden Gemälde andeuten. Vouet malte um den Zeitraum ihrer Begegnung den Selbstmord der Lucretia mit Virginia Vezzi als Modell. 

Simon Vouet, Selbstmord der Lucretia, ca. 1625, heute in der Nationalgalerie Prag

Die besondere und größere Verletzbarkeit in der Identität als Frau erfuhr am Ende auch Virginia Vezzi: Une mort très violante” schrieb Zeitgenosse Bullart über ihren frühen Tod. Sie starb ein Jahrzehnt nach diesem Bild infolge eines Kaiserschnitts. Das Paar hatte insgesamt fünf gemeinsame Kinder. 

Der Begriff Kaiserschnitt geht auf Caesar zurück, ein tiefenpsychologischer Mythos klingt darin an. Der Legende nach, die seit dem Mittelalter stärker Verbreitung fand, soll Caesar so geboren worden sein. Man war der Auffassung, bei einer solchen gewaltsamen Notgeburt könne die Mutter nicht überleben. Mit Caesar starb die Republik.

Einige Zeit später malte Gentileschi ihre Version der Lucretia mit einem ähnlichen Bildaufbau wie Vouet. Mit Gentileschis tiefer Empathie für den psychologischen Konflikt der Lucretia würde man eher annehmen, dass sie hier Vouet voranginge, doch der kunstgeschichtlichen Literatur zufolge war es hier Vouet, der Gentileschi beeinflusste. Gab Gentileschi ihrer Lucretia Züge der verstorbenen Freundin?

Artemisa Gentileschi, Selbstmord der Lucretia, 1630-35

 

Orazio Gentileschi gestaltete in dieser Hochphase Mitte der 1620er Jahre eine Hommage an die großen Themen seiner Tochter, bevor er für lange Zeit Italien verließ und nach England ging. 

Orazio Gentileschi 1621-24, Judith and Her Maidservant with the Head of Holofernes, pd, Wiki

Auch für Vouet war die Zeit in Italien jetzt vorbei. Mit der Rückkehr nach Frankreich wird sich sein Stil verändern.

Im Jahr 1627, ein Jahr nach der Hochzeit, portraitierte Vouet seine Frau stolz und selbstbewusst. Ihre Tochter Francesca wurde in dieser Zeit geboren.

Simon Vouet, Virginia Vezzi als Magdalena (c. 1627)

Dem Ruf des Königs folgend, kehrte Vouet 1627 nach Paris zurück. Vouet wurde Premier peintre du Roy – er war jetzt der einflussreichste Künstler am Hof und ihm wurden Räume im Louvre zugewiesen. Mit regem Interesse an Vouets junger Frau Virginia Vezzi, die der König mit Bewunderung überschüttete, kam er öfters vorbei. Die Vorliebe des Königs für die Bilder von Vouet, die eine starke Sinnlichkeit seiner weiblichen Hauptfiguren auszeichnen, allen voran Virginia Vezzi, spricht nicht gerade für die Gerüchte der Homosexualität des Königs. Vouet war im goldenen Käfig gelandet. Ludwig XIII. wird mal als schüchtern, mal als grausam beschrieben, ließ bereits als 16-Jähriger einen Konkurrenten ermorden und schickte später sogar seine Mutter in die Verbannung. Unwillkürlich kommt einem Tarquinius in den Sinn. Vouet hat noch zu seinen Lebzeiten Aufstände gegen die absolutistische Herrschaft in Frankreich erlebt.

Vezzi und Vouet hatten geheiratet, bevor sie dem Ruf des Königs nach Paris folgten. Sie werden mit Sicherheit auch ihre Erfahrungen mit der Gefährlichkeit von Klatsch und der Unbeständigkeit der Gunst von Herrschern gesammelt haben.

Es war immer offen, wie sich das Verhältnis mit dem König entwickeln würde. Als Poussin nach Paris kam, soll der König Vouet angezählt haben, doch Poussin zog wieder ab. “Tarquinius und Lucretia” entstand noch zu Lebzeiten des Königs, vermutlich im Studio Vouet. Der König, bekanntlich öfters zu Besuch im Atelier seines ersten Hofmalers, wird dann auch die Entstehung dieses Gemäldes beobachtet haben. Stand Virginia Vezzi auch bei dieser Lucretia Modell, war es noch zu Lebzeiten von Vezzi, die zehn Jahre nach der Ankunft in Frankreich starb. Da sie nicht nur Modell, sondern auch eine anerkannte Künstlerin war und vom König geschätzt wurde, konnte sie sich ein Kommentar zum entstehenden Werk erlauben. Verteidigte sie den weiblichen Diener? Weshalb sollte Lucretia allein mit einem Mann in ihrer nächtlichen Kammer sein? Tarquinius konnte auch im Haus einen Diener ergreifen, um seine Drohung wahr zu machen, sie zu töten und neben die Leiche eines Sklaven zu legen, dem sie beigewohnt hätte. Mit dieser Drohung gab sie ihm nach. Sie wird die Tugendhaftigkeit der Lucretia verteidigt haben, und zwar weniger spärlich bekleidet als in den Darstellungen anderer Künstler. Was dachte Ludwig XIII. über die Darstellung eines Tyrannen? Er war sich bewusst darüber, dass auch Könige stürzen können. Von ihm stammt der bekannte Ausspruch: „Ich wäre kein König, leistete ich mir die Empfindungen eines Privatmannes.“ War es heikel, auf den Sturz eines Tyrannen anzuspielen, als gerade mit dem Ausbau absolutistischer Herrschaft Unruhen im Land wuchsen? Vielleicht war es sogar schon damals während der Entstehungszeit des Bildes besser, auf eine andere Deutungsgebung des Bildes auszuweichen, wenn es auch nicht stimmig war und die Grundkomposition nicht mehr völlig verändert werden konnte.  

Vouet und Vezzi werden wohl erleichtert gewesen sein, falls der König sich mehr für den gut gebauten Körper des fast nackten Tarquinius interessierte, als der schönen Virginia im Studio nachzustellen. Vouet beobachtete seine Zeit genau, ihm wird auch ein Bild zugeschrieben, das eine provozierende Gestalt zeigt: Mit einer Hand macht er ein sexuelles Handzeichen, mit der anderen hält er zwei Feigen wie zwei Hoden. 

Simon Vouet, Junger Mann mit Feigen, 1620‒1630

Vouet und Vezzi waren wohl nicht in Gefahr. Der König hatte in seiner Jugend selbst begeistert gezeichnet, war kunstsinnig und interessierte sich für Virginia Vezzi tatsächlich (auch) als Künstlerin. Virginia Vezzi begann eine Tradition des Zeichen- und Malunterrichts für Hofdamen im Louvre (demnach keinen Service für die Herren).

Vouet portraitierte mehrmals den König. Die Zeichnung unten ist ebenfalls im Metropolitan Museum New York – das Museum möchte darin eine ungewöhnliche Vertrautheit und Offenheit zwischen Künstler und König erkennen.

Louis XIII von Simon Vouet, 1632-35, pd

Vouet und Vezzi waren ja keine Rebellen, sondern machten Karriere am Hof und passten sich an. Dennoch, das Künstlerpaar arbeitete gleich im ersten Jahr in Paris weiterhin an Themen, die sie mit ihren Botschaften aufladen konnten, wie die Allegorie des Friedens: Eine Muse und Künstlerin (für die Vezzi nur zu gerne Modell stand) malt die Göttin des Friedens, die mit ihrem Zepter den Blechhaufen der Rüstungen wie Gerümpel unten hält. Für die Künste war die Verschwendung der Staatsgelder für Kriegszüge ja auch ganz direkt Konkurrenz und eine Bedrohung ihrer Ressourcen.

Simon Vouet, Allegorie des Friedens, 1627

Doch friedlich blieben die Herrscher Frankreichs nicht. Frankreich führte Krieg gegen die Hugenotten ebenso wie gegen Österreich und den Papst, denn das Machtkalkül war dabei immer wichtiger als religiöse Gründe. 1648, als der neue König Ludwig XIV. noch ein Kind war, kam es zu Aufständen gegen das absolutistische Machtstreben. Im August 1648 errichteten Pariser Bürger Barrikaden und kämpften. Daraufhin floh die Königsfamilie im Januar 1649. In einem Akt der Rebellion begann Vouet in dieser Zeit, die Opposition gegen die neu gegründete Académie Royale anzuführen.

Während sich die Königsfamilie im Exil befand, gründete Vouet als Kampfansage gegen die Académie Royale nach dem Vorbild seiner früheren Accademia San Luca in Rom, der er in den 1620er Jahren vorstand, die Académie de Saint Luca. Vouet provozierte die Académie Royale, indem er kostenlosen Zeichenunterricht anbot, der nach der angestrebten Herrschaft der Académie Royale untersagt wurde. Vouet erinnerte sich an die Zeit in Rom, seine Freiheit, zu unterrichten, als er eine Schülerin wie Virigina Vezzi aufnehmen konnte und sie später vollwertiges Mitglied der Accademia di San Luca wurde. War es nur die Eitelkeit eines alten Mannes oder der ehrliche Versuch, sich an seine Wurzeln als unabhängiger Künstler zu erinnern? Die alten Pariser Künstlergilden, mit denen sich Vouet in Opposition zur Académie Royale zusammenschloss, wollten die Künstler ebenso bevormunden und kontrollieren, wie die neue Académie Royale. Vouet legte bereits kurz nach der Gründung seiner Académie den Vorsitz nieder – er wird nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen seine Aussichten realistisch bedacht haben, hier in den Kämpfen der Parteien nur zerrieben zu werden. Doch auch die symbolischen Zeichen – wie zuvor das Gemälde “Tarquinius und Lucretia” – haben ihre bleibende Bedeutung.

Der politische Aufstand gegen die absolutistische Macht sowie der Kampf zwischen den Künstlerinstitutionen dauerte über Jahre an, über seinen Tod hinaus. Vouets ehemalige Studenten und selbst seine Schwiegersöhne suchten in der Académie Royale nach ihren Karrierechancen. Vouets Zeit war vorbei – er starb im Sommer 1649 im Alter von 61 Jahren.

War es ein Risiko, den Tyrannen Tarquinius in dieser Zeit des Absolutismus so direkt in der Nähe des Herrschers darzustellen? Vouet hätte vielleicht den Witz dafür gehabt, Eustache Le Sueur hätte eine solche Geschichte nie angerührt, auch nicht in verhüllter Form oder einer zum Verwechseln ähnlichen Komposition. 

Als der Aufstand gegen das Königshaus zurückgeschlagen war, wurde 1654 Zeichenunterricht außerhalb der königlichen Akademie verboten und in den folgenden Jahren teils unter hohe Strafen gestellt. Die Kunst hatte ganz dem “ancien regime” und dem „grand stil“ zu dienen. Der Absolutismus unterwarf sich die Kunst noch mehr unter dem neuen, starken Mann, Jean Baptiste Colbert in Frankreich ab den 1660er Jahren. Sueurs steifer Akademismus mit dem Kniefall vor dem Papst von 1646-48 steht für diese neue, kommende Ära. Künstler wie Caravaggio, die noch Vouet beeinflussten, wurden jetzt verachtet: Poussin nannte Caravaggio einen anarchistischen Zerstörer der Künste. Man kann sich denken, was diese Generation von Künstlerinnen wie Gentileschi und Vezzi hielt.

J.B. Colbert, gemalt von Champaigne 1666, wiki pd, Bruno kniet vor Urban II, Eustache Le Sueur 1646-48

Die Macht des Königs wurde wiederhergestellt und wurde unter Ludwig XIV. größer denn je. Doch der alte römische Mythos holte das französische Königshaus schließlich ein: Ein Jahrhundert später, im Prozess gegen seinen Enkel Ludwig XVI., verglich Robespierre den französischen König mit Tarquinius, bevor er ihn auf die Guillotine schickte. Wie im römischen Mythos hatte die Republik den König schließlich gestürzt. 

Ein 2000 Jahre alter Mythos, ein Gemälde mit einer langen Geschichte – für Siegfried Aram hatte das Bild eine besondere Bedeutung.

Raubkunst “Tarquinius und Lucretia” von Vouet:

Ahnte das Museum eine zweifelhafte Vorgeschichte?

Christie’s verkaufte 1983 ein Gemälde von einem anonymen Verkäufer mit keinerlei Provenance. Sowohl das Auktionshaus als auch das Museum in New York wird sich über das Risiko im Klaren gewesen sein. Weshalb wurde einem Verdacht nach Raubkunst nicht aktiv nachgegangen? 

Zur fehlenden Provenance kam jetzt auch noch eine dünne Geschichte, ein neuer Titel, der dem Bild die Tiefe und reichhaltigen Bezüge nimmt. Das Metropolitan Museum änderte nach dem Kauf eilig Künstlername und Titel in “Rape of Tamar” (eine wenig bekannte Bibelszenevon Eustache Le Sueur (ein Schüler von Vouet). Das Bild sei erst 1640 entstanden, also zwei Jahre nach dem Tod von Virginia Vezzi, die mehrmals für die Lucretia Modell stand. Das passt alles nicht so recht.

Die eilige Änderung von Titel und Künstlername bei einem Gemälde aus dem Besitz verfolgter Juden überzeugt nicht. Ob solche Mittel die Vorgeschichte vergessen machen können? Vielleicht noch in den 80ern, doch Ende der Neunzigerjahre kam das Washingtoner Abkommen, in dem sich die Länder zu Transparenz und Nachforschungen verpflichteten. Jetzt kam Bewegung in die anonymen Fälle. Jane Wrightman veröffentlichte 2005 ihr Buch “The Wrightman Pictures”, in dem sie den ursprünglichen Titel des Bildes wieder ins Gedächtnis ruft (“Tarquinius und Lucretia” aus der Schule von Vouet), die fragwürdigen Umstände der Ersteigerung bei Christie’s nennt und die Zweifel an der neuen Zuordnung erkennen lässt. Die Szene mit dem Messer, die das Gemälde bestimmt, ist in der biblischen Geschichte der Tamar gar nicht enthalten (wie auch Jane Wrightman 2005 einräumt), wohl aber bei Tarquinius und Lucretia ein zentraler Handlungsmoment.  

Die Geschichte der Tamar

In der biblischen Geschichte der Tamar gibt ihr Bruder Amnon vor, krank zu sein, um sie zu verführen. Das Sujet zeigt typischerweise den Krankheit vortäuschenden, im Bett liegenden Bruder, der seine Schwester ins Bett ziehen möchte, als sie Essen bringt. Unten typische Darstellungen: 

Tamar und Amnon, Gemälde von Jan Havicksz 1668-1679
Tamar und Amnon von Cerrini (1609-1681) wiki pd

Kein Dolch ist hier zu sehen und es finden sich auch keine relevanten Vergleichsbeispiele, in dem die Geschichte der Tamar so dargestellt wäre. Im Thema schwingt auch keine Resonanz zum Leben von Vouet. Jane Wrightman versucht für das Museum dennoch bei Requisiten am Rande (Kelch) ein Indiz für die Geschichte der Tamar zu finden. Sie könnten mit dem Mahl verbunden werden, das Tamar ihrem Bruder zubereitet. Doch sind weder Teller und Speisen bei Vouet zu sehen und Amnon liegt nicht krank im Bett. Kelch und geleerte, umgekippte Weingefäße bei Vouet stehen für den Rausch des rasenden Tarquinius. Lucretia soll dem Laster ihrer Umgebung widerstanden haben, während ihre Schwägerinnen an den Gelagen teilnahmen. Vouet benutzte die gleichen Krüge als Symbol des Rausches bei Lot und seine Töchter. Ein Kelch findet sich gelegentlich auch in anderen Darstellungen von Tarquinius und Lucretia (siehe unten), ebenso eine tugendhafte Magd im Hintergrund, die hier (wie ja auch bei Vouet) die Arme hebt, als sie Zeuge des Geschehens wird.

Tarquinius und Lucretia, 1575, Rijksmuseum Amsterdam

 

Der Dolch ist ein Schlüsselelement des Sujets und völlig unüblich für die Geschichte der Tamar. Für die ursprüngliche Zuordnung gibt es klare Vorbilder in der Kunstgeschichte, die Jayne Wrightman teils auch nennt. Der kompositorische Grundaufbau lehnt sich bei Vouet deutlich an Vorbilder (Tizian und andere) an, teilweise bis in die Position und Anordnung der Figuren. 

Tizian und Vouet im Vergleich: Tarquinius und Lucretia

Links Tizian Tarquinius und Lucretia 1568-1571, rechts die Version aus dem Studio Vouet

 

Jayne Wrightman beschreibt in ihrem Buch, wie das Museum kurze Zeit nach dem Ankauf Titel und selbst den Künstlernamen ändert und dabei erkannt haben will, dass es nicht Vouet, sondern seinem Schüler Eustache Le Sueur zuzuschreiben sei. Doch auch hier kommt das Museum in Erklärungsnot: Um die starke Nähe zu Vouet zu erklären, wird eine frühe Phase des Schülers vermutet, als er noch direkt im Studio Vouet arbeitete. Also doch wieder Atelier Vouet. Unter seiner Leitung, teilweise oder ganz von Vouet selbst konzipiert und gestaltet, ist der mögliche Arbeitsanteil von Schülern schwer zu bestimmen.  

Eustache Le Sueur malte gefällige Allegorien und Historienbilder. Seinen Arbeiten, insbesondere seinen Frauenfiguren, fehlte jeder psychologische Tiefgang. Nichts lag ihm ferner als der Themenkreis, der starke Wurzeln in der Frühzeit von Vouet in Rom hatte, den die Carravaggio-Nachfolger mit so großem Interesse am seelischen Konflikt des Einzelnen behandelten: Judith, Magdalena, Lukretia.

Die Musen - Clio, Euterpe and Thalia, 1652-55, Eustache Le Sueur, wiki pd

Den Kompositionen von Sueur fehlt die energetische Dynamik von Vouet, wie auch Jane Wrightman bemerkt. Wrightman sieht die typische kompositorische Handschrift von Vouet im Bild, das Christie’s als “Tarquinius und Lucretia aus der Schule Vouets” versteigerte. Wrightman nimmt daher eine frühe Phase von Sueur an, als er noch im Studio Vouet arbeitete (und Vouet seine Entwürfe teils mit Hilfe von Schülern ausführte). Wie dort das Verhältnis zum Meister war, deutet der folgende Vergleich an. Sueur wird das Bild unten zugeschrieben: Eine passive Ariadne, nur ihre Haare sind in starker Bewegung, jedoch ohne Beziehung zur Körperbewegung.

Ausschnitt aus Ariadne von Bacchus und Ariadne, 1940, Eustache Le Sueur, Atelier Vouet

Vergleicht man es mit “Tarquinius und Lucretia”, erkennt man, wie es vom blauen Haarband bis zum fast skizzenhaften Pinselstrich der offenen Haare diesem Vorbild entnommen scheint. Nur ist das bewegte Haar bei Lucretia ganz aus der Bewegung der Figur begründet. Man erkennt hier die stimmige, dynamische Handschrift aus einem Guss, die gerade auch Vouets Zeichnungen und kompositorischen Entwürfe ausmachen. Lucretia zeigt mit der Modellierung durch tiefe Schattenbereiche eine stärkere Körperlichkeit, die noch einen Widerhall von Vouets Wurzeln im chiaroscuro andeuten. 

Ausschnitt Ariadne von Bacchus und Ariadne, 1940, Eustache Le Sueur, Atelier Vouet und Ausschnitt "Tarquinius und Lucretia, Atelier Vouet, Wiki pd

Vouets Studio hatte in den 1630er und 40er Jahren ein Produktionsumfang mit vielen Schülern und Hilfskräften erreicht, die eine genaue Klärung der Mitwirkung bei einzelnen Werken schwierig machen kann. Die Mitwirkung von Sueur kann hier durchaus möglich und begründet sein. Vouets Studio ist in dieser Zeit längst zur art factory geworden. Die Vielzahl der Aufgabengebiete in der Innenausstattung und Dekoration der königlichen Schlösser und sonstiger Auftraggeber des Hofes erfordert einen Atelierbetrieb mit viel Personal, die bei der Ausführung helfen. Ebenso verlangt der Geschmack der Zeit, des französischen Hofes, eher gefällige Kunst. Frauenrollen wurden klischeehafter, Gesichter schematischer, insbesondere bei Werken aus der Hand seiner Schüler wie Eustache de Sueur, manchmal aber auch bei Vouet selbst.

Tarquinius und Lucretia hebt sich in der Qualität dabei noch deutlich ab, ist aber nicht frei von diesen Einflüssen. Es bleibt ein Werk zu einem Themenkreis mit tiefen Wurzeln in Vouets Werkbiografie, noch mit einer inszenatorischen Wucht, die einer Legende mit langer geschichtlicher Resonanz Erzählkraft gibt. Es ist ein bedeutendes Werk, das in Themenwahl und dynamischen Komposition, wenn nicht direkt und ausschließlich von Vouet, so doch unter seiner immer noch maßgeblichen Leitung seines Studios entstand.

 

Von der Antike bis zur französischen Revolution

Tarquinius trägt bei Vouet ein Ephaptis, wie er häufig bei Darstellungen der Krieger in der Antike zu finden ist, siehe Achilles auf einem Sarkophag im Louvre 240 n. Chr., wie ihn Vouet gesehen haben konnte.

Achilles am Hof des Lykomedes, Louvre, c Paris, ca 240 n.Chr. Marmor, Rom, Werkstatt Athen

 Siehe auch Davids Darstellung der Krieger von 1799, in einer Legende, die ebenfalls in der mythischen Vorzeit der römischen Republik spielt.

Das Eingreifen der Sabinerinnen, 1799, David

Ein Krieger / Soldat wird auch auf einem Dokument von 1785 genannt, das dem Metropolitan Museum zufolge das Bild von Vouet beschreiben soll – das passt ebenso wenig zu Tamars Bruder, der sich im Bett krank stellt. Vouet malte die Geschichte von Tarquinius und Lucretia.

In der Französischen Revolution war die Legende von “Tarquinius und Lukretia” wieder in Mode. Kein Wunder, dass das Gemälde 1793, dem Jahr, in dem der König auf die Guillotine ging, bei einer Auktion wieder auftaucht.

Mit dem Aufstieg der Republik waren gleiche Bürgerrechte für alle das Versprechen der Stunde. Im Jahr 1781 erhielten schließlich die Juden in Frankreich zum ersten Mal in einem europäischen Land gleiche Bürgerrechte. Das Gemälde hatte eine besondere Bedeutung für die Vorbesitzer, die 1933 in Deutschland ihres Eigentums beraubt wurden.

Das Museum kann nur dabei gewinnen, den ursprünglichen (jüdischen) Besitzer zu nennen und den ursprünglichen Titel wiederzuentdecken: Mit dem antiken Mythos von Tyrannis und Widerstand, der für den Vorbesitzer, einem Opfer der Diktatur, besondere Bedeutung hatte, bevor ihm das Bild im Nationalsozialismus entzogen wurde, gewinnt das Werk eine Geschichte, die das Gemälde am Ende noch wertvoller macht, als es bereits ist.

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Die Weltkunst — 12.1938

Auszug aus den Quellen

Gerichtsakten zum Fall Siegfried Aram in den Landesarchiven mit Kommentierung:

Landgericht Freiburg, Restitutionsverfahren 1959-1963 F 166/3 Nr. 3821 im Staatsarchiv Freiburg

Das erste Dokument aus den bislang zugänglichen Gerichtsakten stammt vom Dezember 1959, das letzte vom Frühjahr 1963. Da sich die Prozesse bereits seit 1949 hinzogen, wie aus den Angaben zur Laufzeit des Falls im Landesarchiv hervorgeht, wird der Prozessverlauf vor 1959 bislang aus den Verweisen in den Akten seit 1959 rekonstruiert.

Ausschnitt Akte Siegfried Aram 1959-1963 Staatsarchiv Freiburg

Briefe von Siegfried Aram an Hans Franke 1962-63

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Gezückte Messer im Schwarzwald

aus einem Brief von Siegfried Aram vom 20.8.1962

„Im Jahre 1931 war ich mit einem Gast, den Doktor Ruedenberg aus Krefeld zu einer Bauernhochzeit in der Umgebung von Schapbach. Man wird dort eingeladen und jeder Gast zahlt für sich selber, aber man sieht die Volkstrachten. Die Nazis aber waren wieder selbstbewusst: ein ganzer Tisch voller junger Krakehler saß dort und stieß an: „Sieg Heil!“.  Zu meinem Entsetzen sah ich, dass sie von einem früheren Studenten namens Lanz [] geführt wurden, den mir  Polizeiwehrdirektor Hahn ein Jahrzehnt zuvor in Stuttgart als den bezeichnet hatte, der meine Umlegung  [sprich Ermordung] befürwortete [Aram flüchtete damals für einige Zeit in die Schweiz].
Es dauerte nicht lange, bis einer der Rüpel an meinen Tisch kam und mir eine Zigarette Marke ‘Trommler‘ anbot. Ich wollte zugreifen, aber er schlug mir auf die Hand und schrie: „ein Jude raucht diese Sorte nicht!“ (Es waren, wie ich hörte, nationalsozialistische Zigaretten).
Ich wollte ihm eine Ohrfeige verabreichen, aber Ruedenberg und der Chauffeur rissen mich weg. Der Nazi-Tisch war aufgestanden, zum Teil mit Messern in der Hand, aber ein Tisch mit Schapbacher Bauern stand auch auf, um mich zu beschützen. Ruedenberg drängte, wegzufahren, was ich auch tat. Aber nach kurzer Zeit erhielt ich aus Wolfach einen Brief, unterzeichnet „Teut“, in welchem man mich beschimpfte, ich habe eine christliche Kirche in deutschem Land missbraucht, um Alljuden[?]-Propaganda zu treiben. Ich habe den nordischen Arier Jesus als Juden kennzeichnen wollen (und anderen Wahnsinn mehr) auch habe ich Wolfacher Fasnachtsmasken mit den Masken minderwertige Rassen zusammengehängt, um meine Verachtung echter, alter deutscher Volkskunst zu zeigen. Man riet mir, von Schapbach fern zu bleiben. („Judenschwein, du hast Ortsverbot!“)
Ich hörte später, irgendein junger Schullehrer sei der Verfasser gewesen, aber 1932 schon schrieb mir jemand, das Dorf, insbesondere die Dorfjugend, sei nun voll von Judenhass. Ein Streicherbuch wurde dort vertrieben und der Stürmer etc.

1932 Uhr war ich nur ein paar Tage dort. Aber man spannte mir ein Drahtseil über den Weg, den der Chauffeur noch rechtzeitig bemerkte. Ich erstattete keine Anzeige.
Das Schlössle wurde dann 1933 vor der Abreise meine Mutter verkauft oder besser verschleudert. Und der neue Eigentümer, ein Herr Sommer aus Trier bedrohte meine Mutter auf Briefbögen als Vorsitzender eines nationalsozialistischen Verbandes und erpresste nicht verkaufte Gegenstände im ausgewiesenen Wert von 16.000 $ (Sie waren bereits [an einen Kunden in den USA] verkauft). Nun, im Vergleichswege erhielt ich vor einigen Jahren 30.000 DM von denen 12.000 für Anwaltskosten abgingen. Vielleicht hätte ich den Restitutionsprozess gewonnen, aber ich hatte kein Geld… für Anwaltsvorschüsse und der Streitwert war hoch.“

Konsul Oskar Sommer

Zu Oskar Sommer und der Arisierung eines Geschäftshauses von Moritz Feidt in Berlin 1937 siehe Artikel zur Gedenktafel, Dokumentation erstellt von der  „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ und des Vereins „Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. „in Zusammenarbeit mit Holger Hübner Zitat: Moritz Feidt begründete hier das erste mehrstöckige Warenhaus in Steglitz. 1937 wurde das Kaufhaus, das nach dem Tode seines Besitzers von der Witwe und seinem Sohn weitergeführt wurde, „arisiert“ und zum „Textilhaus Oskar Sommer“. Die Erben von Max Feidt klagten nach dem Krieg auf Restitition, ihnen wurde Recht zugesprochen, Sommer musste es zurückgeben. 

Zur Rolle der Handelskammern in der Arisierung im III. Reich siehe auch Thomas Roth, Kapitel Rheinische Geschichte, 1933-1945 Nationalsozialismus und zweiter Weltkrieg, Kapitel Wirtschafts- und Sozialpolitik, siehe  hier

Weitere biographische Daten zu Oskar Sommer (so zur Nachkriegskarriere u.a. als Beirat der Landeszentralbank Rheinland Pfalz  und Konsul von Panama) siehe hier in der rehinlandpfälzischen Personendatenbank,  Impressum Landesbibliothekszentrum

Zu Arisierungen in Trier siehe auch Interview mit der Historikerin Jutta Albrecht in “16 vor“ Trierer Stadtmagazin, „Staatlich legalisierter Raub“, 18.12.2014. Die Firma Hofstetter (von Oskar Sommer) annoncierte bereits früh in der nationalsozialistischen Tageszeitung von Trier ihre „deutschen“ Produkte.

Das Bundesarchiv in Berlin bestätigte im März 2020 die NSDAP-Mitgliedschaft von Oskar Sommer seit 1.5.1933

Staatsarchive

Staatsarchiv Freiburg

StAF F168/2, 633 , Klage von Siegfried Aram gegen Sommer /Hammerbacher, 1949-52

StAF F168/2 416 Berufung dazu 1951

StAF 165/1 151/1 Klage von Siegfried Aram  wg. Haus in Luisenstraße 26, Baden-Baden gegen Oberst 1949-52

mit Berufung dazu. Die Zeugenaussagen von Bankdirektor Cosack berühren auch den Fall Schapbach. Zeugenaussagen von Juwelieren berühren auch Entschädigungsfälle in Berlin.

StAF F166/3 3821 Siegfried Aram gegen Nachfolger des Deutschen Reiches, Finanzamt Freiburg 1959-1962

StAF F168/2 757 Klage Siegfried Aram gegen Brown, Boverie und Cie, 1949-1951

StAF F168/2 755 Klage gegen Gemeinde Schapbach, 1949-1950

 

Akten im Entschädigungsamt  Berlin

Akte Dr. Siegfried Aram, A LABO Berlin, BEG-Akte Reg.-Nr. 329.393, Entschädigungsamt Berlin. 

Akte Gerald, Nathaniel Fyte, LABO Berlin, BEG-Akte Reg.-Nr.57.770, Entschädigungsamt Berlin

Akte Rosa  Feidt, LABO Berlin, BEG-Akte Reg.-Nr.57.769 Entschädigungsamt Berlin 

Tarquinius und Lucretia bei Christie’s und Metropolitan Museum

siehe

The Wrightman Pictures, Jayne Wrightman, 2005, New York, Metropolitan Museum

Beschreibung der Versteigerung bei Christie’s  1983 als “Tarquin and Lucretria from the circle of Vouet”, Christie’s und kunsthistorische Kommentare, die das Werk dem Schüler von Simon Vouet, Eustache Le Sueur in seiner frühen Zeit im Studio Vouet zuschreibt.

Der Text  versucht darzustellen, wie beide Sujets (Lucretia und Tarquinius ebenso wie die bliblische Geschichte der Tamar) zutreffen können, legt jedoch keine stichhaltigen Argumente für die Geschichte der Tamar vor.

 Das Werk befindet sich heute unter dem Titel„the  Rape of Tamar“ von Eustache Le Sueur in der Gallery 634, 5th Ave, Metropolitan Museum New York, Infos der Met zum Bild hier

Angaben zur Provenienz im Buch “The Wrightman Pictures”: Nourri, Paris, February 24. 1785, lot 104, as by Eustache Le Sueur “fait dans l’école de Vouet… une composition de trois figures dans un intérieur enrichi d’architecture; l’on voit sur le devant une femme assise à qui und soldat presente un coupe d’une main, e tient de l’autre un poignard; 71 puces de haut sur 57 puces 6 lignes de large” [76 x 61 in. (193 x 154.9 cm)]; for 400 livres [Fr.396 ] to Folliot); private collection (untill 1983; sale, Christie’s, London, December 2, 1983, lot 45, as “Tarquin and Lucretia” from the circle of Simon Vouet; fot £ 108.000 to Stair Sainty Matthiesen)

Die Académie de Saint-Luc als Rivalin der Académie Royale de Peinture et de Sculpture,Gudrun Valerius,Zeitschrift für Kunstgeschichte,73. Bd., H. 1 (2010), pp. 115-126

Vouet – Jaques Thuillier, Galeries nationales du Grand Palais Paris , 1990 Paris, editions de la Réunion des  musées nationaux

Simon Vouet, 100 neuentdeckte Zeichnungen, Staatliche Graphische Sammlung Bayrische Staatsbibliothek, München 1991

 

entrance hall Metropolitan Museum NY, wiki, CC BY SA 3.0